Sophia - Oct. 26 '04: Szene, Wien (AT) (+ string quartet) with The Album Leaf |
Review
1 Sophia, verstärkt durch ein Streichquartett, begeisterten in der Szene Wien. Eine schier endlose Aneinanderreihung dissoziierter Klänge plätscherte ans müde Ohr. Selten wurde Zeit so quälend vernichtet wie durch die Vorgruppe "The Album Leaf". Aber wer weiß, vielleicht ersann Robin Trower-Sheppard, Singer/Songwriter aus San Diego, diesen musikalisch ereignislosen Beginn als Vorbereitung auf seine eigene Band Sophia? Denn im Vergleich wirkten die bleichen Mannen von Sophia richtig kernig. Proper-Sheppard hatte diesmal nicht nur eine Gitarre umgehängt. Der Schwung, mit der er die Sounds aus ihr beutelte, hatte durchaus auch toxische Gründe. Wie dem auch war, die Nebel des Alkohols lichteten sich, als er "Someday" anstimmte. Der Amerikaner, der die Kunst beherrscht, mit wenigen Worten Lyrics zu kreieren, die sich anhören, als ob sie im freien Fall entstanden wären, lockte mit "Fool" und "Swept back" zügig in seine hermetische Melancholia. Steckte man auch nur die Nasenspitze aus diesem Schlaraffenland des lustvollen Masochismus, wäre man kassiert von der Realität, vielleicht gar vom Glück. Aber wer will das schon? Viel schöner ist es, sich in den schwebenden Balladen und geisterhaften Klagen zu verlieren, mit denen der Mittdreißiger, der einst die Art-Metal-Formation "Godmachine" anführte, heute lockt. Überdies verstehen sich Sophia auch vorzüglich auf einen milde scheppernden, hymnischen Ton, der selten geworden ist im Pop, etwa in "Oh My Love". Highlights: Solo-Versionen von "So Slow" und "Death Of A Salesman". Die düsteren Winkel des Hirns wurden nicht nur mit bedauernder Attitüde ausgeleuchtet, sondern auch durch Lärmkaskaden erschüttert. So diente "Desert Song No. 2" als beeindruckende Selbstbefreiung. Im Toben der Gitarren und Geigen beteuerte der hagere Sänger: "There is no sin in loving yourself and letting life begin again." Lieber der Welt Gewalt antun, als das eigene Innenleben zu ersticken! Eindrucksvoller als diese karthatischen Durchbrüche waren aber jene Momente, wo Proper-Sheppard seinem Zorn kleine zärtliche Lichter aufsetzte, Falsett-Wagnisse einging. Was in "Bastards" prompt schief ging. Nach etlichen Versuchen besann er sich darauf, die Augen zu schließen und wegzudriften. In die Uferlosigkeit seiner Musik. Samir H. Köck, Diepresse.com Review 2 Am Anfang ist ein Auge. Lange Wimpern, dahinter die feine Haut des Augenlieds, noch geschlossen, zuckt es ganz leicht, dann öffnet es sich, langsam und majestätisch, blickt geradeaus, ein wenig ungläubig, zwinkert, dann ist es greifbar: Ein Auge. Davor spielt sich gerade eines der meditativsten Sets dieses Jahres ab: The Album Leaf eröffnen, untermalt von den großflächigen Stage-Visuals Andy Pates, den Abend für Sophia. The Album Leaf, die Soloband des Black-Heart-Procession-Mannes Jimmy LaValle, der zuletzt Sigur Rós eingeladen hatte, sein Studioprodukt In A Safe Place zu veredeln. So stehen denn auch neben überwiegend elektronischen Geräten im sehr statischen Auftritt vor allem Xylophon und letztendlich die Geige im Vordergrund, die die charakteristischen, kalt-warmen Soundscapes und Klavierfiguren LaValles zerschneiden. Erfreulicherweise hält dieser sich mit dem Gesang live aber sehr zurück, was einen sehr ruhigen, homogenen und charismatischen Auftritt sicherte, der auch wegen der zur Schau gestellten Avantgarde überzeugte, vielleicht aber ein, zwei Nummern zu lang war, um wirklich zu begeistern. So war schon sehr bald eine gewisse Hektik in der ausverkauften Szene in Wien zu spüren, die ein unglaublichen Paket buchen konnte, zumal Sophia schon im Frühjahr in der atmosphärischen Location spielten, als das neue Album People Are Like Seasons erschien. Diesmal aber ist alles anders, kündigen die nun endlich passend herbstroten Plakate doch ganz unrockbar An Evening with Sophia and String Quartet an. Umso erstaunlicher, dass dennoch über 600 Menschen gekommen sind, Robin Proper-Sheppard und sein Bandprojekt zu sehen, ein Projekt, das nun schon seit fast 10 Jahren existiert, dabei drei der melancholischsten Platten ever veröffentlichte, und über dessen Hintergründe, die besondere Tragik des Bandleaders alles gesagt ist. Verstärkt durch die Streicher wirkt Sophia nun tatsächlich wie die Personifizierung des Schmerzes, und gerade die früh gespielten Plattenhighlights wie Fool und Swept Back drohen innerlich zu zerglühen, auch wenn es zum Ende hin eher die Trommelfelle zerreißt, wenn If A Change Is Gonna Come zu einer ungeahnten, aber unendlich befreienden Noise-Orgie ausartet. Die besten Momente hat dieses Konzert jedoch, wenn nur Proper-Sheppard allein mit seiner Gitarre agiert: So Slow und Death Of A Salesman sind eine Erfahrung. Wie aber ist es zu erklären, dass ein solcher Abend weder im Kitsch ertrinkt, wie es ein ähnliches Arrangement bei einer beliebigen Brit-Pop-Gefühlsband tun würde, noch etwa eine todsehnende Schar Trauernder zurücklässt? Vielleicht kann so etwas nur ein Mensch mit der Biographie Proper-Sheppards: Beim Singen die Augen geschlossen, noch einmal jedes der ungezählten Leiden, die aus jeder einzelnen Zeile jeden Liedes dieses Mannes sprechen, nacherlebend und erneut von der Erinnerung aufgezehrt. Wenn Proper-Sheppard aber die Augen öffnet, ist da kein Suizid mehr und keine plötzlichen Todesfälle, dann reißt er den Zuschauer aus der sich breit machenden Melancholie, witzelt und unterhält, und das ist dann vielleicht Selbsttherapie, ganz sicher aber eine heilsame Erfahrung für die Menschen vor der Bühne. Was ein solches Konzert so besonders macht: Ein Lied über die Angst, allein zu sterben, fünfmal lachend abzubrechen, und trotzdem keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass es ihm damit vollkommen ernst ist. Sophia, das wird auf der Bühne umso deutlicher, sind nicht hoffnungsloser Pessimismus. Sophia ist die Entdeckung der Poesie des Scheiterns, ein schulterzuckendes Lächeln für das Loslassen-Müssen und das Weiterziehen, weil die Welt sich immer noch dreht. Sophia, freut man sich dann wieder, heißt Weisheit. Am Ende kann es so nicht verwundern, dass der Hauptdarsteller des
Abends jedem, der noch länger geblieben ist, die Hand reicht,
um dabei ungezählt oft zu hören, wie wichtig sein Werk für
so viele Menschen ist. Jaja, Robin, your music means so much to me,
too. Und mehr als an diesem einen Abend im nun wieder viel zu fernen
Wien wohl nie wieder... Danke dafür. |