Sophia (Robin solo) - May 22 '10: Paris Syndrome (Black Box), Leipzig (DE)

Review
Ein älterer Herr, vielleicht in den Vierzigern, betritt die „Black Box“ des Paris Syndrom. In der Hand eine Gitarre. Es ist Robin Proper -Sheppard, der Kopf der englischen Band Sophia, der heute allein vor einem erwartungsvollen Publikum steht.
Hinter ihm ein aufgerolltes Poster, ähnlich einem Bühnenbild beim Theater. Es zeigt eine lachsfarbene Blümchentapete und einen aufgemalten Heizkörper – die Simulation eines Wohnzimmers wird durch den kleinen hölzernen Tisch verstärkt, auf dem schickes, altes Tonbandgerät steht. Spätestens als Sheppard seine Schuhe auszieht und in die Ecke schmeißt besteht kein Zweifel: Heute sind wir zuhause. Zuhause bei Robin Proper-Sheppard.
Als er seinen ersten Song Heartache anstimmt ahne ich schon, dass der Mensch vor meinen Augen die Liebe in all ihren Facetten erlebt hat. Je mehr ich von ihm höre, desto sicherer bin ich in meiner Annahme. Die Intimität zwischen Künstler und Publikum wächst mit jedem Song, den er performt, mit jeder Anekdote seines Lebens, die er vertrauensvoll zum Besten gibt.
Sein neues Album „There are no Goodbyes“ handelt überwiegend von Miss Astrid Williamson, zu der er seit über 10 Jahren eine äußerst komplizierten Kontakt pflegt. Er wirkt unglaublich gefasst, als er uns davon erzählt und doch spürt man den Schmerz in jedem seiner Worte. Es überrascht daher nicht, dass er heute Abend fast jeden Song der Frau widmet, die ihn zuerst an Weihnachten 2009 und dann an Valentinstag 2010 zum zweiten Mal verlassen hat.
Alle Texte tragen die Handschrift des Nihilisten Sheppard; es sind Geschichten seines Lebens, tieftraurig und ernüchternd. Seine Stimme kraftvoll und zart zugleich, die Symbiose zwischen Gesang und Gitarrenspiel nahezu perfekt.
Dieser Mann lebt jede einzelne Zeile, jeden einzelnen Akkord. Man sitzt da und kann nicht anders, als sich zu fragen, was sich im Kopf und im Herzen eines Menschen abspielt, der mit geschlossenen Augen und barfuß singt, als wäre er allein in diesem Raum.
Der Zauber des Moments wird jäh durch das Klingeln eines Handys im Publikum zerstört.
Sheppard ist davon so aus dem Konzept gebracht, dass es ihm unmöglich erscheint die Songs von seiner Setlist weiterzuspielen. Mit den Worten „ If you can't feel it, you shouldn't play it“ versucht er zu erklären, wie tief er in seinen Songs steckt und wie unmöglich es für ihn ist, nun einfach weiterzumachen.
Bemüht den Abend zu retten, tut er, was kein anderer Künstler tun würde: Er spielt die Wünsche seines Publikums, obwohl er diese Songs seit Ewigkeiten nicht gespielt hat, schon gar nicht auf Konzerten. Er springt über seinen Schatten und spielt nach Birds und The River letztendlich sogar The Sea....
Während wir alle ertrinken in dieser Melancholie scheint genau in diesen Minuten Sheppard den rettenden Anker gefunden zu haben. Der Schmerz, den The Sea, bei ihm auslöst katapultiert ihn mental und emotional wieder in mitten seiner Setlist.
Die Songs, die er noch für uns bereithält sind allesamt brilliant und wir sind sichtlich dankbar, dass er sie uns nicht vorenthalten hat. Besonders ergreifend ist die Performance des Songs Lost, den er mittedrin abbricht, den Tränen nahe und mit den Worten "I feel like a failure, I don't want you to applaude on that."
Ein gebrochener Mann, gezeichnet von Selbstzweifeln, verlässt nach über zwei Stunden die Black Box und hinterlässt ein nachdenkliches Publikum mit leerem Blick und feuchten Augen.
Doch er kommt zurück, nicht zuletzt wegen seiner Schuhe... er hat sich entschlossen uns auch diese Geschichte zu erzählen. Der Mann, der von sich selbst behauptet die Frau seines Leben gefunden und wieder verloren zu haben, verarbeitet im Song Lost den Verlust einer anderen Frau – seiner Mutter. Der Krebs hat sie ihm vor einigen Jahren genommen und Sheppard lässt keinen Zweifel daran, dass es ihn noch genauso zerreißt, wie an dem Tag, als er an ihrem Sterbebett stand.
Dieses Mal schafft er es den Song zu Ende zu spielen und als man ihn 10 Minuten später an der Theke antrifft, kann er schon wieder halbwegs lächeln.
TheGirl, outspoken-magazine.com, 23/05/2010



Photos by Cascotie