Review 1
Sie wünschen, wir spielen vielleicht
Konzert Der Songwriter Robin Proper-Sheppard hat in Schorndorf musiziert.
Welke Robin Proper-Sheppard kommt am Dienstagabend auf die Bühne der
bestens gefüllten, bestuhlten Schorndorfer Manufaktur spaziert, wird
mit warmem Begrüßungsapplaus empfangen - und geht dann wieder. Verdutzt
warten die Zuhörer fünf Minuten, dann kehrt der US-Songwriter aus
dem Backstagebereich zurück und erklärt, dass er etwas vergessen habe
- den Zettel mit dem Text eines Songs, den er nur sehr selten spiele.
Wenig später sagt er, dass er derzeit gar nicht gut drauf sei, sich
ganz im Gegenteil sogar recht mies fühle. Und wiederum kurz darauf
merkt er dann noch an, dass er sich eigentlich mit vielen seiner Songtexte
überhaupt nicht mehr identifiziere und sie so niemals noch einmal
schreiben würde.
Tja, da würde man sich dann wohl erst mal feixend fragen, was das
denn für ein Superkünstler ist: vergisst sein Zubehör in der Garderobe,
konterkariert alle Erwartungshaltungen eines Publikums, das vielleicht
gerne gehört hätte, dass er sich freue, hier auf der Bühne stehen
und Songs spielen zu dürfen, von denen er aus tiefstem Herzen überzeugt
sei. Und überhaupt: wenn er sich den Text nicht merken kann, warum
spielt er dann nicht einfach einen anderen Song aus dem doch immerhin
schon fünf wunderbare Studioalben umfassenden Repertoire seiner Band
Sophia?
Weil zwar das Leben kein Wunschkonzert ist, aber zumindest doch dieser
Abend. Vorab gab es bei seinem Soloakustikprogramm „At Home with Sophia"
für die Zuschauer die Möglichkeit, sich Songs von ihm nach Wahl zu
wünschen. Zwei von ihnen (warum eigentlich nur zwei?) machten Gebrauch
von der Option, als erster wurde bald nach Konzertbeginn ein gewisser
Steffen bedient - der sich just das Lied mit dem vermaledeit schwer
zu merkenden Text gewünscht hat -, kurz vor Ende des regulären Konzertteils
war ein gewisser Jan dran, der vorab für das traumhafte Lied „Dreaming"
vom letzten Sophia-Album „There are no Goodbyes" votierte. Im Prinzip
jedenfalls. Denn Proper-Sheppard setzt zwar schon an, zuckt dann aber
zurück und sagt, dass er es jetzt aus persönlichen Gründen nicht spielen
könne.
Er bringt es dann als vorletztes Lied der Zugaben in einer berückenden
Interpretation doch, er entschuldigt sich davor für die Unpässlichkeit,
man bekommt fast ein schlechtes Gewissen, ihm (ohne es zu wollen)
offenbar wehgetan zu haben, irgendeinen wunden Punkt an seiner Seele
berührt zu haben. Wie man überhaupt mitfühlt wie selten bei einem
Konzert, ergriffen ist von der völlig jenseitigen Versunkenheit, von
der tiefen Innerlichkeit, von der herzergreifenden Entrückung, in
der Proper-Sheppard mit seiner Musik eins wird. Entsprechend andächtig
und ergriffen lauscht das mucksmäuschenstille Publikum den Seeleneinblicke
gewährenden Ansagen und dem sehr langen, außergewöhnlichen, künstlerisch
brillanten Konzert - einer musikalischen Sternstunde sondergleichen.
Jan Ulrich Welke, Stuttgarter Zeitung, 9/12/2010
Review 2
Die Bühne als Freudsche Couch
Robin Proper-Sheppard, Mastermind der Band Sophia, mit einem indiskreten
und bedrückend-schönen Solokonzert
Was ist die Steigerung von Seelenstriptease? Ein Solo-Akustik-Konzert
von Robin Proper-Sheppard. Die Songs an sich sind mit schwermütig
sehr wohlwollend umschrieben. Dank der schonungslosen Kontextualisierung
und minimalen Instrumentierung von Sheppard werden aus traurigen Songs
autobiografische Soundtracks zu Tod, Verlust und Hoffnungslosigkeit.
Das Publikum in der Schorndorfer Manufaktur schweigt ehrfürchtig,
die Bar stellt den Betrieb ein, denn Kronkorken und Kleingeldrascheln
wären nur Störfeuer für die zerbrechliche und reduzierte Darbietung
des Robin Proper-Sheppard. Selbst die berüchtigte Stecknadel wäre
bei ihrem Aufprall zum Paukenschlag erwachsen.
Wer vor dem Konzert noch keine handfeste Herbstdepression hatte, müsste
nun nachhaltig bedient sein. Sheppard verschont sein Publikum nicht
mit bedrückenden Details aus seinem Leben, vielmehr überrennt, ja
überfordert er es. Selbst erfahrene Psychiater wären wohl von so schonungsloser
Offenheit überrascht, denn Sheppard liefert seine Autobiografie bei
Konzerten gleich mit. So erfahren wir, dass jedes seiner sechs Studioalben
gleichzeitig für eine (gescheiterte) Liebesbeziehung steht. Vor allem
seine Exfreundin Astrid hat es ihm schwer angetan. Auch die anderen
ehemaligen Bettgefährtinnen werden bei vollem Namen genannt – immerhin
verschweigt er die Anschrift der Damen.
Sheppard vertraut seinem Publikum Dinge an, die andere Menschen im
besten Falle ihren besten Freunden erzählen. Besonders drastisch sind
die Schilderungen zum Krebstod seiner Mutter. Er hat ihr auf dem Sterbebett
beim Atmen zugehört. Die Mutter konzentriert sich auf ihren Herzschlag,
im selben Moment setzt ihre Atmung aus. Der Song „Lost (She Believed
In Angels)“ ist die lyrische Verkürzung dieser letzten Begegnung zwischen
Mutter und Sohn. Die sehr private Kontextschaffung der Songs rückt
auch das gesamte Werk von Sheppard in ein anderes Licht.
Auch der Titel des vorletzten Albums „Technology won´t save us“ erschließt
sich erst in Gänze durch die Schilderung des Todeskampfes seiner Mutter.
Trotz neuester Technik ist der Krebstod nicht aufzuhalten. Auch sein
ehemaliger Bandkollege Jimmy Fernandez von seiner früheren Band The
God Machine verstarb an Krebs. Der Song „So slow“ beschreibt, wie
Sheppard den Verlust „dieses wundervollen Menschen“ verarbeitet. „Ich
versuche die Augen zu schließen, doch habe Angst vor der Dunkelheit“,
heißt es da.
Sheppard ist nicht unbedingt ein Ausnahmegitarrist. Solide begleitet
er seine eindringliche Stimme mit simplen Schlagmustern und Akkordfolgen,
während er mit geschlossenen Augen zeitlupenartig um das Mikrofon
tänzelt. Doch Intensität der Darbietung und die Zerbrechlichkeit der
Stimme benötigen keine kunstfertigen und technisch versierten Riffs,
um den Zuschauern einen Kloß in den Hals zu stopfen. Vielmehr geht
es Sheppard darum, die Songs in ihrer Ursprünglichkeit zu zelebrieren.
Die aufwendig durchproduzierten Songs auf den Studioalben werden zum
Anfang des Schaffensprozesses zurückgeführt. Das Publikum ist ehrfürchtig,
dankbar und froh darüber, dass die Manufaktur bestuhlt ist. Bei so
viel konzentrierter Niedergeschlageheit ist eine Sitzgelegenheit ein
wahrer Rettunganker. Wer bei Sheppard nicht rücksichtlos auf seine
eigenen Lebensniederlagen zurückgeworfen wird, hat in seinem Leben
mutmaßlich keine anderen Gefühle, außer Hass, Neid und Gier verspürt.
Christian Rottler, Schorndorfer Nachrichten, 9/12/2010
Review 3
Das traurig tönende Tagebuch
Sophia in der Schorndorfer Manufaktur
Robin Proper-Sheppard ist Sophia. Bei seiner aktuellen Tour ist er
allein unterwegs und nennt diese akustischen onzerte „At Home
With Sophia“. Er steht in der Schorndorfer Manufaktur am Dienstagabend
hinter einem großen Mikrofon, das meist sein Gesicht verdeckt.
Später wird man erfahren, dass das Konzert aufgezeichnet wird.
Hinter ihm ein Paravent mit nostalgischem Tapetenmuster, der wohl
so etwas wie Wohnzimmer-Atmosphäre vermitteln soll.
Das braucht es gar nicht. Die Songs genügen durchaus, um Intimität
zu schaffen. Sophias Alben sind Tagebücher, die nichts verstecken.
Im Gegenteil: Selten hat man Einsamkeit, Herzschmerz, Tod und Traurigkeit
in schöneren Songs gehört. Autobiografische Geschichten
sind das, die Robin Proper- Sheppard erzählt. Jedes Album hat
er einer anderen Ex-Liebe gewidmet. So sind diese knapp zwei Stunden
in der Schorndorfer Manufaktur vor allem sehr, sehr traurig. Egal,
wie viel Pose des Künstlers da dahinterstecken mag. Proper-Sheppard
ist ein so netter Kerl, dass er im Vorfeld des Konzerts die Fans aufrief,
ihre Wunschlieder per E-Mail einzusenden. Nur zwei Leute haben es
gemacht, er spielt – natürlich – beide Songs. Vor
allem bei „Dreaming“ ringt Proper- Sheppard wieder um
Fassung. Zuvor hat er vom Tod seines ehemaligen Bandkollegen erzählt.
Dann vomSterben seiner Mutter. Nie aber hat man dabei das Gefühl,
ein seltsamer Voyeur zu sein.
Anja Wasserbäch, Stuttgarter Nachrichten, 9/12/2010
Review 4
Robin Proper-Sheppard ist traurig, todtraurig. Immer schon. Und wir
wüssten vermutlich nicht, was wir täten, wenn er es plötzlich
nicht mehr wäre. „I don´t like Robin when he is happy“,
sagte auch einst eine seiner vielen Freundinnen. Es ist die Liebe,
die ihn traurig macht. Und irgendwie auch das Leben. Und der Tod.
Mit „Heartache“ startet der Frontmann der Band Sophia
diesen Abend in der Manufaktur im verregneten Schorndorf (übrigens
ganz formidabel bestellt: sowohl der Ort als auch die Wetterlage),
ganz wie gewohnt: hingebungsvoll, Leid in jeder Zeile, Passion in
jedem Ton. Und doch ganz ungewohnt: Robin Proper-Sheppard steht allein
auf der Bühne. Nur er, vor puderfarbener, floral gemusterter
Tapete samt rostigem Heizkörper (angelehnt an das Cover der letzten
Platte There are no Goodbyes) und seine Gitarre, samt floral gemusterter
Schlagplatte. Und schon beim ersten Lied kann man ihn spüren,
den großen, weltumfassenden Schmerz, auch wenn Proper-Sheppard’s
Leben derzeit nur „shit“ ist und nicht wie so oft „big
shit“. Das Schlimmste sind die Frauen. Immer noch. Auch wenn
er meist der ist, der davon rennt.
Ein Lied für Julie, eine seiner großen Lieben, als Entschuldigung
fürs Davonrennen. Das ist eine der Lektionen, die uns Proper-Sheppard
an diesem Abend lehrt: Es gibt Menschen, die Potential zur großen
Liebe haben und es gibt Menschen, die immer die große Liebe
bleiben, unvergessen. Er selbst allerdings hat so einige unvergessliche.
Und er singt sich an diesem Abend durch diese Reihe an Frauen, die
Stimme brüchig, die Texte schlicht aber wahr, die Songs wunderbar
melancholisch. Noch immer.
At Home with Sophia heißt diese Tour, die der schwermütige
Schwerenöter allein mit seiner Gitarre bestreitet, passenderweise
kurz nachdem er in London aus seiner Wohnung geflogen ist. Und er
erzählt seinem Publikum von seinem „At Home“ –
in London und in Kalifornien – von den Frauen, dem Leben, dem
Tod. Von Julie, die etwas Besseres als ihn verdient hat, von Astrid,
zu der er immer wieder zurückgespült wird, von Frauen, die
ihn alles vergessen lassen und immer dann fehlen, wenn man die größte
Sehnsucht nach ihnen hat. Frauen, die er verletzt und zum Weinen gebracht
hat. Viel Weltschmerz ist dabei, ein bisschen Seelenstrip und viel
Koketterie. Aber, „anyways“. Die Damen im Raum sind entzückt
und seufzen leise, und die Herren fühlen sich endlich verstanden.
Aber Robin Proper-Sheppard kennt auch die irdischen Dinge: Einen Sonntagnachmittag
mit liebevoll gekochtem Dinner und einer tobenden Astrid, deren ach
so romantischer Musikerfreund den Fernseher einer Unterhaltung vorzieht.
Schade, denken die seufzenden Damen, der ist auch so. Und schon wird
er wieder traurig und romantisch, wie zur Entschuldigung. „I
am really really sad, but I know there is love“ sagt er, rollt
die Augen zur Decke und lacht ein bisschen über sich selbst.
Brav.
Und man stellt ihn sich vor, auf einem Bett mit zerwühlten Laken
sitzend, die Gitarre mit dem floralen Schlagbrett verzweifelt bearbeitend
und diese todtraurigen Songs singend. Und Robin erzählt weiter.
Von Jimmy Fernandez, dem Bassisten seiner früheren Band The God
Machine, der an einem tennisballgroßen Tumor gestorben ist.
Von seinem Vater, der irgendwann davonlief und nie wieder auftauchte.
Von seiner Mutter, die mit „a little bit of cancer“ ins
Krankenhaus ging um sich schnell heilen zu lassen und fünf Tage
später tot war. Von seiner Tochter, deren Geburt für den
Song Directionless (und das passende Gefühl) verantwortlich war.
Und plötzlich weiß man ein bisschen, warum dieser Mann
manchmal so traurig ist. Und nicht erst seit Jimmys Tod und der Entstehung
von Sophia 1996. Auch The God Machine (1991-1994), ein Trio halbwilder
Ex-High School Jungs mit Bock auf Rock´n Roll, waren meist eher
desolater Stimmung, wenn auch mehr so post-pubertär.
Und damals hatte Proper-Sheppard noch mehr Wut in sich, man wird halt
älter. Ein bisschen davon kann man auch heute abend spüren
– wenn er aufhört, die Gitarre zu streicheln und statt
dessen harte Riffs in die dunkle Manufaktur donnert. Oder wenn er
bei If A Change is Gonna Come eine Nuance zu laut ins Mikrofon schreit.
Kann man ja auch mal laut sagen: Life´s a bitch. Yeah. Aber
das sind nur die Zwischentöne. Meist ist und bleibt er leise.
Und wenn er zu Beginn des Konzerts vielleicht noch nicht traurig genug
war, ist er es spätestens jetzt, als er – beinahe am Ende
dieses Abends – mitten im Song (der einzige Seitensprung heute:
John Lennons Jealous Guy) unterbricht und gesteht, dass er einfach
zu viel über sein Leben nachdenkt. Big Shit. Immer noch.
Valerie Hasenmayer, gig-blog.net, 9/12/2010
Photos by Steffen Schmid
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