Sophia - Mar. 23 ’04: Mousonturm, Frankfurt (D), with Jansen

Review 1
robin proper-sheppard announcing the song the sea as a song he'd written for his daughter who said that she found it too boring and too slow. and who he disinherited as the adressee of the song. that's what i'd call honest. his daughter was right btw. the song was unimpressive. but i didn't care.

robin proper-sheppard who says and shows that after 15 years of playing around with guitars he still isn't capable of tuning a guitar, that's so simpatico.

overall i was slightly underwhelmed by the concert. on disc they sound better but it didn't matter.

swept back, my ultimate goose-pimp song by them was nice but i really loved when they let themselves loose at the end with the noise of if a change is gonna come. instead of all those ballads they should have done more noise because they know how to do it. not like lambchop who are still virgins of noise.
alex63, musik.antville.org


Review 2

Subkulturelles Revolutionsgebaren
Mit geschlossenen Augen steht Robin Proper-Sheppard auf der ungewöhnlich abgedunkelten Bühne des Frankfurter Mousonturms. Der Mann mit der seitengescheitelten Frisur in Haselnußbraun und dem etwas großporigen Teint, der ihm einen Hauch Verwegenheit verleiht, konzentriert sich wie in Trance auf die leicht skurrilen Akkordfolgen seines Instruments, verharrt minutenlang selbstvergessen in dieser Pose. Die Rolle des unverstandenen, einsamen und wortkargen Singer/Songwriters im refrainfreudigen Akustikgewand behagt dem einst aus dem sonnigen kalifornischen San Diego ins verregnete London emigrierten Sänger, Gitarristen und Komponisten augenscheinlich. In seiner eher unspektakulären Persönlichkeit vereinen sich auf kongeniale Weise die traditionellen Werte des Independent-Rock-Genres mit der tieftraurigen Poesie eines Leonard Cohen: subkulturelles Revolutionsgebaren, egozentrisches Querulantentum und ein ausgesprochenes Faible für nervösen Weltschmerz.

Das derzeit europaweit mit Lobeshymnen überhäufte britische Ensemble "Sophia" steht im achten Jahr seines Bestehens vor dem Durchbruch internationaler Anerkennung. Mit seinem aktuellen dritten Album "People Are Like Seasons" präsentiert das Quintett, das im Prinzip keines ist, da sich Proper-Sheppard als Solokünstler unter Pseudonym mit wechselnden Gastmusikern versteht, eine der schönsten und aufregendsten Veröffentlichungen der vergangenen Jahre. Kryptisch hingepinnte Lebensphilosophie in melancholisch verschachtelten Moll-Tonfolgen, die das tristessegetränkte Dasein in der Hauptstadt London, der britischen Provinz und anderswo widerspiegeln, dienen als perfektes Identifikationsmodell nicht nur für übersensible Universitätsabsolventen, sondern einer ganzen jungen Generation.

Maßgeblichen Anteil an dem zeitlosen Konzept, das von Duo- bis Orchestergröße variieren kann, haben zweifellos auch Proper-Sheppards derzeitige, namentlich nicht vorgestellte Musikerkollegen. Die schwelenden, zwischen Mellotron-Beschaulichkeit und Kirchenorgel-Trauer variierenden Tonfolgen des Keyboarders setzen sich mit den feinziselierten Läufen des Bassisten, dem wuchtigen Stil des Schlagzeugers und den gegensteuernden Farbtupfern des E-Gitarristen in wohlproportioniert tönende Synergien um. Konventionelle Pop- und Rockmuster fusionieren in zeitlupenhaftem Tempo zu intensiv glühenden metaphernreichen Balladen voller Wehmut, Schmerz und Einsamkeit. Latentes Aggressionspotential trifft auf dramatisch-schwülstige Arrangements, schillernden Popeklektizismus und verletzliche Seelentiefe. Pure Magie und schwindelerregende Dynamik - wie selbstverständlich halten "Sophia" die Balance zwischen "alles wollen" und "alles können", überraschen dann und wann sogar mit in ohrenbetäubender Lautstärke dargebrachtem donnernden Rockstil.

Das fragile und doch maskuline Timbre Proper-Sheppards zelebriert sich lyrisch, leise und im keuschen Sinne lustvoll. Mit eindringlichen Visionen thematisiert er die von simpler Arrangierkunst pointiert garnierte Poesie facettenreich und packt in seine erstaunlich europäisch tönenden Songvignetten alles, was einen Amerikaner im britischen Exil, zumal zu Karrierebeginn vor mehr als einer Dekade in einer düster rockenden Gothic-Formation namens "The God Machine", geistig bewegen mag: Traumatische Erlebnisse aus der Kindheit, den durch Tod endgültigen Verlust ihm nahestehender Menschen, aber auch den Werteverfall in der westlichen Zivilisation, die Bestechlichkeit in der Politik, innerfamiliäre Konflikte, vernachlässigte Beziehungen und tagträumerische Romanzen beschäftigen den alleinerziehenden Vater einer Tochter, die auf den Namen Hope hört.

Kosmopolitische Reflexionen und an geheime Tagebucheintragungen erinnernde Kleinodien, die in kammermusikalischer Dramaturgie zu einer unverwechselbaren dreidimensionalen Klangskulptur verschmelzen: Proper-Sheppard läßt sich von den Widrigkeiten des Lebens treiben, vom Sog der Melancholie in einen Strudel reißen. Doch er verkrampft nicht dabei. Vielmehr scheint er mit den Jahren die altgriechische Bedeutung seines Bandnamens verinnerlicht zu haben. So generiert er aus dem Wissen um die Schattenseiten des Lebens Weisheiten, die er seinem Publikum ungefiltert preisgibt.
Michael Köhler, Frankfurter Allgemeine, 24/03/2004
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